GAWO Praxisbeispiel 5

 

Praxisbeispiel 5:

Verlängerung der Schichtzeit —

12-Stunden-Schichten am Wochenende

 

Ausgangslage

In diesem vollkontinuierlichen Produktionsbetrieb kommt aus den Reihen der Belegschaft der Wunsch nach mehr Freizeit am Wochenende. Ein erster Vorschlag für einen neuen Schichtplan liegt bereits vor. Das Bild 1 zeigt den 4-Gruppen-Plan mit 12-Stunden-Schichten am Wochenende.

Bild 1

Rahmenbedingungen

In diesem Produktionsbetrieb müssen die Beschäftigten überwiegend körperliche Tätigkeiten durchführen, insbesondere einseitige Bewegungen, die sich ständig wiederholen.
Die Belegschaft hat ein Durchschnittsalter von 44,3 Jahren und besteht zu 60% aus Frauen.
Die Belegschaftsstärke muss in jeder Schicht gleich sein.

 

Ziele

  • Gewissenhafte Beurteilung, ob 12-Stunden-Schichten eingeführt werden können.
  • Auf folgende Frage muss dazu eine klare Antwort gefunden werden: Kann die gegebene Tätigkeit auch über einen 12-Stunden-Arbeitstag hinweg forderungsgemäß, ohne negative kurzfristige und längerfristige Folgen (Beeinträchtigungen, Schädigungen) durchgeführt werden?

Handlungsschritte

1. Schritt:
Es sollte sich eine Projektgruppe, bestehend aus Befürwortern und Gegnern aus der Belegschaft, Sicherheitsfachkräften, dem ärztlichen Dienst, Mitgliedern des Betriebsrates und Arbeitgebervertretende, bilden. Bei Bedarf sollten auch außerbetriebliche Fachleute herangezogen werden.
Die erste Aufgabe sollte zunächst darin bestehen, Vor- und Nachteile dieses Vorhabens zu sammeln. Neben dem großen Gewinn eines zusätzlichen freien Wochenendes gibt es auch folgende negative Aspekte:
  • Die Ruhezeit zwischen den beiden 12-Stunden-Schichten am Wochenende ist nur 12 Stunden lang. Dies könnte zur Erholung zu wenig sein.
  • Die Restzeit, die einem nach einer 12-Stunden-Schicht und der notwendigen Zeit für Arbeitswege, Erholung, Körperpflege und Schlaf bleibt, ist sehr kurz. Da bleibt nicht mehr viel übrig für Freizeit und Familie.
  • Wenn die Entscheidung für die 12-Stunden-Schichten ausfällt, werden sicherlich manche Beschäftigte gegen ihren Willen 12 Stunden am Stück arbeiten müssen. Ist das zumutbar?
  • Die Arbeitsleistung könnte geringer sein.
  • Deutlich steigende Ermüdung, insbesondere am Ende der Schicht, ist wahrscheinlich. Damit steigt auch das Risiko für Unfälle.
2. Schritt:
Grundsätzlich können Schichtzeiten unter arbeitswissenschaftlicher Perspektive auf 12 Stunden erhöht werden, jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen:
  • Nach § ArbZG dürfen 12 Stunden nur gefahren werden, wenn bei der Tätigkeit im erheblichen Umfang Arbeitsbereitschaft vorliegt! Arbeitsbereitschaft bedeutet: warten auf Arbeit!
  • Die Belastungssituation muss es zulassen. Dazu sollte unbedingt eine belastungsbezogene Bewertung durch eine objektive Einschätzung der Arbeitsbelastung vorgenommen werden. Eine Befragung der Beschäftigten reicht hier nicht aus, weil bei solchen subjektiven Einschätzungen Aspekte wie Gesundheit und Sicherheit erfahrungsgemäß nicht an erster Stelle stehen. Die Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gibt Tipps zu möglichen Verfahren.

EBA2_Beta-Version ist ein Beispiel für solch ein Belastungsverfahren. Das Bild 2 zeigt deutlich die hohe Belastung auf einigen Merkmalen (rote Balken) an einem Arbeitsplatztyp im Betrieb. Die Frage, ob bei dieser Arbeitsbelastung 12-Stunden-Schichten eingeführt werden sollten, kann aus arbeitswissenschaftlicher Sicht nicht befürwortet werden.

Hier noch eine generelle Empfehlungsliste, wann 12-Stunden-Schichten nicht eingeführt werden sollten (aus: Gärtner et al., Handbuch Schichtpläne):

  • bei körperlich oder geistig belastenden Tätigkeiten
  • bei monotonen Tätigkeiten
  • bei Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit
  • bei Tätigkeiten mit gefährlichen Gütern
  • bei Tätigkeiten mit hohem Unfallrisiko
  • bei Tätigkeiten, die lang andauerndes Stehen erfordern
  • bei Tätigkeiten, die rasche und ständig wiederkehrende Bewegungen beinhalten
  • bei Exposition gegenüber gesundheitsgefährdenden Schadstoffen, Lärm, Vibrationen usw. (Expositionsstandards sind auf 8 Stunden ausgelegt)
  • bei isolierten Arbeiten (z.B. Kranführer)


Bild 2

3. Schritt:
Neben der objektiven Einschätzung der Arbeitsbelastung sollten folgende Daten gesammelt und analysiert werden und zwar bezogen auf die bisherigen (8-stündigen) Schichtzeiten:
  • ärztliche Untersuchung
  • Analyse der krankheitsbedingten Fehlzeiten
  • Analyse der Unfallzahlen
  • Veränderungen in der mengenmäßigen Arbeitsleistung (Quantität) über die Schicht hinweg
  • Veränderungen in der Ausführung der Tätigkeit (Qualität) über die Schicht hinweg. Die Beobachtung, dass die einzelnen Handgriffe insbesondere gegen Ende der Schicht nicht mehr so genau und exakt durchgeführt werden, kann auf Ermüdung hindeuten. Auch die sich erhöhende Anzahl von kurzen, selbst gewählten Pausen zeigt dies an. Beobachten Sie einfach mal Ihre Beschäftigen!
  • Und natürlich auch Befragungsdaten der Beschäftigten hinsichtlich subjektiver Beschwerden und Zufriedenheit mit der Situation. Aber bitte nicht ausschließlich, da die Ergebnisse von Befragungen auch immer andere Interessen, die mit Gesundheit und Sicherheit nichts zu tun haben, beinhalten!
4. Schritt:
Die Verantwortlichen und betroffenen Beschäftigen müssen nun beurteilen, ob die 12-Stunden-Schichten tatsächlich eingeführt werden sollen. Dabei hilft die Checkliste 12-Stunden-Schichten. Wenn der Entschluss fest steht, ist zu empfehlen, die neuen Schichten zunächst zur Probe einzuführen. Während und nach der Probephase müssen die Auswirkungen kontrolliert werden. Dazu sollten die Daten aus Schritt 3 gesammelt, analysiert und neu bewertet werden.

 

Fazit:

Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht sollte immer eine Belastungsanalyse durchgeführt werden. In diesem Fall muss das Bestreben 12-Stunden-Schichten einzuführen, abgelehnt werden. Die Belastungssituation lässt dies nicht zu. Stellen Sie sich bitte immer folgende Frage: Können Sie ausschließen, dass das Risiko für Gesundheit und Sicherheit durch die Einführung der 12-Stunden-Schichten steigt? Wenn nicht, sollten Sie das Vorhaben beenden!

(Bildquellen: : Software BASS 5 - System zur computergestützten Gestaltung und Bewertung von Arbeitszeitsystemen, Software EBA2_Beta-Version)